„Der Jahrestag des Archiveinsturzes fällt in diesem Jahr auf den Karnevalssonntag. Zehn Jahre sind dann vergangen seit dem 3. März 2009. Die Einsturz-Katastrophe nahm zwei jungen Menschen das Leben, verursachte den Tod einer älteren Dame wenig später, raubte vielen Menschen Wohnungen und Lebenszusammenhang, beschädigte und vernichtete Archivalien, das „Gedächtnis der Stadt“ – eine Tragödie, die bis heute nachwirkt.
Wir von der Initiative ArchivKomplex meinen, dass wir auch im Karneval an diese Katastrophe erinnern können – und müssen. Vor fünf Jahren war es ähnlich, als der 3. März auf Rosenmontag fiel.
Damals haben auf unsere Aktion „Nit verjesse: Strüßjer för Minsche un Böcher“ an der Ecke Severinstraße/Löwengasse viele Menschen im Rosenmontagszug und drumherum sehr aufmerksam und nachdenklich reagiert.
Nun werden Mitglieder und Freunde von ArchivKomplex am Karnevalssonntag, 3. März, ab 11 Uhr wieder an der Ecke Severinstraße/Löwengasse stehen, kostümiert mit weißen Schutzanzügen (wie zu Zeiten der Archivalienbergung) und passenden Attributen, unter einem großen Transparent:
Mit den Organisatoren der Schull- un Veedelszöch ist abgesprochen, dass wir von ArchivKomplex den Zug dort gegen 11:45 Uhr empfangen und gemeinsam an die Katastrophe erinnern. Die Zugleitung wird den Zug, der vom Chlodwigplatz durch die Severinstraße kommt, an der Ecke Löwengasse anhalten. Dann wird die Tanzgruppe „Hellige Knäächte un Mägde“ der Lyskircher Junge, die immer am Zuganfang läuft, dort einen traditionellen Tanz aufführen im Gedenken an die Opfer des Archiveinsturzes vom 3.März 2009.
Von 13:15 bis zur Zeit des Einsturzes um 13:58 Uhr organisiert „Köln kann auch anders“ ein Programm am Einsturzort vor „Papa Rudi’s“ (Waidmarkt 2); daran wird ArchivKomplex teilnehmen, auch mit einem eigenen Beitrag. Um 13:58 Uhr läuten die Glocken der Südstadt-Kirchen.
ArchivKomplex lädt alle, die an die Einsturzkatastrophe erinnern wollen,
herzlich ein, am 3. März 2019 ab 11 Uhr zu den Veranstaltungen
an der Ecke Severinstraße / Löwengasse und am Einsturzort zu kommen
Am 3. März 2009 stürzte das Historische Archiv ein; zwei junge Männer starben in den Trümmern, eine ältere Dame nahm sich später aus Verzweiflung das Leben. Etliche dort Wohnende verloren ihr gesamtes Hab und Gut, ihren Lebenszusammenhang. Schock, Entsetzen, Ratlosigkeit und Zorn beherrschten die Stadt – und das Verlangen nach Veränderung.
Jetzt, zehn Jahre danach, müssen wir leider feststellen: Es hat sich nicht viel verändert in dieser Stadt. Zwar konnten angeblich 95 Prozent des Archivbestandes geborgen werden, und einiges konnten Restauratoren in mühevoller Arbeit wieder nutzbar machen – aber die Restaurierung und die Zusammenführung der einzelnen Bestände bleibt eine Aufgabe für Jahrzehnte; einiges wird unwiederbringlich verloren sein. Zwar behauptet der Gutachter, die Schadensursache sei geklärt – aber der Verlauf der
Prozesse bleibt höchst unbefriedigend, und es steht zu befürchten, dass am Ende die Steuer zahlenden Bürger einen Großteil des Schadens (geschätzte Höhe: 1,3 Milliarden Euro) übernehmen müssen. Zwar wird in der Stadtverwaltung viel über Verantwortung gesprochen – aber allzu oft erleben wir, dass sich Verantwortliche entziehen und nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Auch im Georgsviertel, rund um den Einsturzkrater, ist die Lage zehn Jahre danach deprimierend. Trotz aller Versprechen hat sich die Stadtverwaltung zehn Jahre lang wenig um den Einsturzort gekümmert. Initiativen wie ArchivKomplex und „Köln kann auch anders“ legten immer wieder den Finger auf die offene Wunde, aber die Stadtplanung wirkt weiterhin wie gelähmt.
Wir, die Initiative ArchivKomplex, eine unabhängige Gruppe von Künstler*innen, Anwohner *innen, Architekt*innen, Autor*innen und anderen Bürgerinnen und Bürgern, haben seit Ende 2011 durch künstlerische Interventionen und andere Aktionen rund um den Einsturzort daran gearbeitet, die Erinnerung an die Katastrophe von verschiedenen Seiten zu beleuchten und so lebendig zu halten – als „Denkmal im Prozess“ (siehe www.archivkomplex.de).
Nun gibt es einen Hoffnungsschimmer: ArchivKomplex hat einen Vorschlag gemacht, der ein Aufbruchssignal für den Einsturzort werden kann. Aktuell haben wir viel Unterstützung gefunden für den Vorschlag, den großen, oberen Raum im Gleiswechselbauwerk der KVB, der nach den alten Planungen zugeschüttet würde, öffentlich nutzbar zu machen – für Kunst, Kultur und Kommunikation. Das ist
die Vision von – Die Halle mit dem Knick. Dieses Projekt fand viel Unterstützung in einer Gesprächsrunde, an der mehr als 30 Vertreter und Vertreterinnen der Kölner Kulturszene, von Stadtverwaltung, Stadtrat und Bezirksvertretung Innenstadt sowie Architekten und Nachbarn auf Einladung von ArchivKomplex teilnahmen. Verantwortliche von Stadtrat und Stadtverwaltung betonten die große Chance, die sich für die Stadt aus dem Projekt ergeben könne. Es wurde deutlich, welch ein Potenzial
das Projekt hat, vor allem in Synergie mit der bald zu planenden Neugestaltung des ehemaligen Archivgeländes, zu dem wir in Erinnerung der Katastrophe einen künstlerischen Wettbewerb erwarten.
Wir glauben an die Kraft dieser Idee und hoffen auf eine dauerhafte Unterstützung durch die Verantwortlichen der Stadt und durch die kreativen Kräfte Kölns. Ein erster Stadtratsbeschluss muss sicherstellen, dass der Raum zukunftsoffen bleibt und nicht wie vorgesehen verfüllt wird. In einem lebendigen, offenen Diskussionsprozess wollen wir dann unsere Zukunftsvision für diesen so besonderen, einmaligen Ort weiterentwickeln – eine hoffnungsvolle Perspektive für den Einsturzort des Stadtarchivs!“
Quellen:
ArchivKomplex, Pressemitteilung „10 Jahre danach: Trauer, Zorn – und Hoffnung“, Pressemitteilung v. 19.2.2019
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