Im Rahmen des Jubiläumsprogramms zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“ wird vom 8. bis zum 22. März im Foyer des Kreishauses die Wanderausstellung „Mit Macht zur Wahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht in Europa“ zu sehen sein, organisiert von der Kreis-Volkshochschule, dem Kreisarchiv und von Martina Böttcher.
„Die Ausstellung bietet einen guten Überblick über die vielfältige Entwicklung des Frauenwahlrechts in Europa“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte des Kreises. Sie wurde vom Frauenmuseum in Bonn erstellt und zeigt Portraits einzelner Frauen, die sich trotz aller Widerstände überall in Europa für gleiche Rechte eingesetzt haben.
Die Eröffnung, zu der alle Interessierten eingeladen sind, findet am Freitag, 8. März 2019, um 11:00 Uhr statt. Die Historikerin Ulrike Just aus Bonn wird in die Ausstellung einführen. „Das Frauenwahlrecht musste erst gegen viele Vorurteile durchgesetzt werden. So wurde Frauen etwa verminderte Intelligenz und durch ihre Gebärfähigkeit eine ‚natürliche‘ Bestimmung für den privaten Bereich zugeschrieben“, sagt sie. Um Frauen möglichst von der Wahlurne fernzuhalten, mussten sie z.B. in Griechenland nachweisen, dass sie lesen und schreiben können, um wählen zu dürfen.
„Mit dieser Ausstellung wollen wir auch einen regionalen Bezug herstellen und zeigen, dass sich auch in Siegen-Wittgenstein mutige Frauen auf den Weg gemacht haben, für Gleichberechtigung und das Frauenwahlrecht zu kämpfen“, erläutert Martina Böttcher.
Hedwig Heinzerling, Wahlkämpferin für die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) im Jahr 1919
Vor einhundert Jahren, als das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt wurde, gab es im heutigen Siegen-Wittgenstein nur wenige politisch aktive Frauen. Kreisarchivar Thomas Wolf hat Unterlagen und Veröffentlichungen aus der damaligen Zeit ausgewertet: „Ein Blick in die lokale Presse zeigt, dass die Frauen als Wählerinnengruppe deutlich wahrgenommen wurden. Durchweg alle politischen Parteien boten Wahlkampfveranstaltungen speziell für Frauen an“, sagt er.
Eine Frau ist dabei ganz besonders aktiv gewesen: die Siegener Gewerbelehrerin Hedwig Heinzerling. „Als engagierte Wahlkämpferin für die liberale Deutsche Demokratische Partei trat sie z.B. noch am 18. Januar 1919 – einen Tag vor der Wahl zur Nationalversammlung – um 18:00 Uhr abends in Eiserfeld auf.
Bei einer Wahlbeteiligung von um die 80% im Kreis Siegen erzielte vor allem die SPD deutliche Zugewinne gegenüber der Reichstagswahl von 1919. Der intensive Wahlkampf von Hedwig Heinzerling für die DDP im Siegerland schlug sich übrigens nicht in einem guten Ergebnis nieder.
„Hedwig Heinzerling ist im heutigen Kreisgebiet die einzige Politikerin, die in der Weimarer Zeit ein politisches Mandat innehatte – wohl der Lohn ihrer intensiven Wahlkampfarbeit“, vermutet Thomas Wolf. Von 1920 bis 1929 vertrat Heinzerling die DDP im Siegener Stadtrat.
1882 wurde Hedwig Heinzerling in Siegen geboren. Ihre Eltern ermöglichten ihr eine fundierte schulische Ausbildung, an die sich ein Studium zur Sprachlehrerin in Berlin anschloss. Fortbildungen in Genf, London und Paris schlossen sich an. Nach Lehrerstellen in Posen, Berlin und Hamburg war Hedwig Heinzerling seit Mai 1919 in Siegen beschäftigt.
Nach 1945 nahm sie ihre politische Tätigkeit wieder auf. Von 1945 bis 1956 stand sie als Stadtverordnete der FDP im Siegener Rat für „den Bau und die Ausstattung von Kindergärten, für die Förderung des Stadtkrankenhauses und des DRK-Kinderkrankenhauses, für soziale Fragen im weitesten Sinne, [und] für Probleme des Schulwesens.“
Lotte Friese-Korn, Hedwig Finger und Waltraud Steinhauer
„Nach 1945 traten wieder Frauen als Inhaberinnen von politischen Mandaten in Erscheinung, die ihre politische Sozialisation wohl schon in der Weimarer Republik erfahren hatten“, berichtet der Kreisarchivar: z.B. Lotte Friese-Korn (1899 bis 1963), die von 1947 bis 1954 für die FDP im Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen saß, und Hedwig Finger (1899 bis 1974), die für die CDU von 1946 bis 1954 ein Mandat im nordrhein-westfälischen Landtag hatte. Erste Bundestagsabgeordnete aus der Region war übrigens Waltraud Steinhauer (1925 bis 2002), die als Sozialdemokratin die Region von 1974 bis 1990 vertrat.
Dem ersten Kreistag (1945 bis 1946) des Kreises Siegen gehörten Maria Abraham, Johanna Gozdzikowski, Elisabeth von der Nahmer, Grete Noß und Dr. Gertrud Philipp an. „Über diese frühen Politikerinnen ist leider nichts Weiteres bekannt“, stellt Thomas Wolf fest und muss zudem feststellen: „Für den Altkreis Wittgenstein sind so frühe politische Mandate, die von Frauen wahrgenommen wurden, nicht nachweisbar. Bleibt zu hoffen, dass das Jubiläum zu einer eingehenderen Beschäftigung mit den frühen Politikerinnen im Kreisgebiet
Schulprojekt des Berufskollegs AHS zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“
In Zusammenarbeit mit Martina Böttcher führt das Berufskolleg AHS ein Schulprojekt zum Thema „Gleichstellung – 100 Jahre Frauenwahlrecht“ durch. Dazu gehört auch eine Befragung der weiblichen Kreistagsmitglieder, der heimischen Bürgermeisterinnen und der Frauen aus der Region, die ein Mandat im Landtag, im Bundestag oder im Europäischen Parlament haben. „Das Ziel dieser Umfrage ist es, die Möglichkeiten der Teilhabe von Frauen in der Politik im Kreisgebiet genauer beurteilen zu können“, sagt Lehrer Michael Birkner.
Die Ergebnisse dieser Befragung werden am 8. März bei der Ausstellungseröffnung „100 Jahre Frauenwahlrecht“ präsentiert.
Quelle: Kreis Siegen-Wittgenstein, Themen und Projekte
Bei der Auswertung von „Unterlagen und Veröffentlichungen aus der damaligen Zeit“ ist einiges übersehen worden: Hedwig Heinzerling war „im heutigen Kreisgebiet“ nicht „die einzige Politikerin, die in der Weimarer Zeit ein politisches Mandat innehatte“, zur ersten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 17. März 1919 schrieb die große Heimatzeitung: „Auch die Anwesenheit von drei Frauen gibt der Versammlung das charakteristische Gepräge der neuen Zeit.“ Neben Frau Heinzerling (DDP) zogen nämlich Anna Hellmann (Zentrum) und Emmy Braun (SPD) in das Stadtparlament ein. Im Februar 1920 folgte mit der Nachrückerin Agnes Ax (DNVP) gar eine vierte Frau. Frau Heinzerling vertrat die DDP nur in der ersten Legislaturperiode im Stadtrat, 1924 wurde sie nicht wiedergewählt, kam aber im Juni 1929 noch einmal für eine kurze Zeit bis zu den Novemberwahlen als Nachrückerin zum Zuge. Anna Hellmann, Ehefrau von Kreisphysikus Dr. Hellmann, wurde hingegen in allen Kommunalwahlen der Weimarer Zeit wiedergewählt und legte erst im September 1933 aus Protest gegen die Auflösung des Wohlfahrtsausschusses ihr Mandat nieder. Agnes Ax blieb bis 1929 im Stadtrat, Emmy Braun nur die erste Wahlperiode.
In der Biografie von Hedwig Heinzerling sollte nicht ihre wichtige Funktion als Referentin der Kriegsamtnebenstelle unterschlagen werden. Ebenso gilt sie als die eigentliche Gründerin und erste Leiterin der Volkshochschule 1948, damals eine Kooperation von Stadt und Kreis.
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