Die Fraktion Die Grünen – Rosa Liste im Münchner Stadtrat hat [im Juli 2019] beantragt, das Stadtarchiv München in ein zu gründendes Institut für Stadtgeschichte einzugliedern.
[Der Antrag war u.a. in der absehbaren Pensionierung des Stadtarchivleiters in diesem Frühjahr begründet. Der Antrag der grünen Stadtratsfraktion wurde nach dem bayrischen Kommunalwahl am 15. März 2020 Bestandteitl der Koalitionsvereinbarung von SPD,Grünen und Volt – s. S. 31.]
Der Fachverband VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. hat sich mit einer Stellungnahme an den Oberbürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt gewandt. Darin appelliert er an den Oberbürgermeister Dieter Reiter, bei einer geplanten Neuaufstellung archivfachliche Standards zu wahren und die Leitungsstelle fachlich zu besetzen. [Offensichtlich ist ein Bestzungsverfahren erfolglosdurchgeführt worden, obwohl archivfachlich geeignete Bewerbungen eingegangen waren.]
Quelle: VdA, Aktuelles 13.5.2020
s. a. „Gegen archivfachliche (Selbst-)Beschränkungen. In München steht ein Stadtarchiv.“ auf augias via Archivalia
Persönliche Anmerkung:
Um die oben aufgeführten archivischen Reaktionen auf die Pläne in München einzuordnen, lohnt sich m. E. ein Gedankenspiel: In der hessischen Stadt Marburg beantragt die FDP-Fraktion im Vorfeld der Pensionierung des Stadtarchivleiters die Umorganisation des Stadtarchivs. Die Einrichtung soll aus dem Kulturreferat herausgelöst werden und in das Dezernat der allgemeinen Verwaltung integriert werden. Das Archiv soll zu einem Amt für historische Informationsverarbeitung weiterentwickelt und entsprechend umbenannt werden. Man erhoffe sich mit dieser Massnahme eine bessere Zusammenarbeit mit der IT- und der Organisationabteilung der Stadtverwaltung wegen der Bedeutung der digitalen Langzeitarchivierung und der hohen Anforderung durch die eGoverment-Bestrebungen der Stadt (Stichwort: Transparenzportal). Eine erste Bewerber*innen-Runde verläuft trotz archivfachliich geeigneter Bewerber erfolglos, da man sich nicht auf eine Person einigen kann. Die Personalverwaltung prüft daraufhin, ob nicht auch eine Informatikerin oder ein Informationswissenschaftler die Archivleitung übernehmen kann. In dieser Situation meldet sich der archivische Fachverband zu Wort verweist darauf, dass neben der Sicherung und Erschließung des Archivgutes die Zugänglichmachung ein integraler Bestandteil der kommunalen Archivarbeit sei. Über die Bereitstellung des Archivgutes hinaus ist die Beteilgung der Archive an kommunalen, erinnerugskulturellen oder archivpädagogischen Projekten unstrittig eine Pflichtaufgabe. Die politischen Bemühungen in Marburg scheinen diesen integralen Bestandteil kommunalarchivischer Arbeit zu schwächen. Dieser Standpunkt bleibt von archiviarischer Seite nicht unkommentiert, denn es meldet sich Archivar CK zu Wort, der archivische Belange im Bereich der Langzeitarchiverung in unterschiedlichen Fachgremien vertritt. Er weist in launigen Worten daraufhin, dass ohne Sicherung und Erschließung gerade der neu in die Archive gelangenden digitalen Unterlagen keine ernstzunehmende Zugänglichmachung möglich sei. Ihm springt die Leiterin der archivischen Ausbildungsstätte in München bei.
Welche Feststellungen lassen sich nun aus den Beispielen machen?
- Die Politik und Verwaltungsleitungen der Archivträger haben das Recht Verwaltungseinheiten so zu organisieren, wie es ihren Vorstellungen entspricht.
- Archive haben eine enorme Aufgabenbreite, die gesetzlich definiert ist.
- Der archivische Fachverband darf auf Fehlentwicklungen bei Umorganisationen hinweisen, vor allem dann, wenn die organisatorischen Massnahmen befürchten lassen, dass integrale Bestandteile der Archivarbeit zurückgestellt werden.
- Kritik an unpräzisen Stellungnahmen des Fachverbandes sind natürlich legitim und Beweis einer aktiven Archivgemeinschaft.
- Die Beispiele archivpolitischer Entscheidungen in der jüngsten Vergangneneheit (Tübingen, Archiv für alternatives Schrifttum, Würzburg, …..) zeigen aber, dass nur ein möglichst geschlossenes Vorgehen der archivischen Community am besten dazu beiträgt, Archivarbeit in Gänze zu schützen. TW
Zur archivrechtlichen Bewertung s. Thomas Henne, „Gleich- oder nachrangig? Die Auswertung von Archivgut als Aufgabe von Archiven – die gesetzlichen Vorgaben“, Archivwelt, 18/05/2020, https://archivwelt.hypotheses.org/2338.
1) Weiterer Eintrag im Blog der Archivschule Marburg zum Thema: s. a. https://archivwelt.hypotheses.org/2373
2) Archivalia meldete sich ebenfalls zu Wort: https://archivalia.hypotheses.org/123493
Einen chronologischen Überblick bietet: Tim Odendahl, „Debatte um Kernaufgaben von Archivierenden streift auch Offene Archive“ im Blog Archive 2.0, 24.5.2020, Link: https://archive20.hypotheses.org/9201
Gewohnt kurz und knackig: Klaus Graf: „Stadtarchiv München sollte von Facharchivierenden geleitet werden“, Link: https://archivalia.hypotheses.org/123549
Pingback: Debatte um Kernaufgaben von Archivierenden streift auch Offene Archive | Archive 2.0
Die Süddeutsche Zeitung berichtete gestern zum Stadtarchiv München: „Archivare fürchten um Unabhängigkeit“, Link: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-stadtarchiv-institut-fuer-stadtgeschichte-gruene-1.5000161
Pingback: #Archiverinnerungskultur – eine nicht nur archivische Blogparade | siwiarchiv.de
Zur Causa Stadtarchiv München gibt es eine neu Entwicklung s. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-stadtarchiv-streit-chef-1.5370533 . Zitat: „…. Der langjährige Chef des Archivs, Michael Stephan, hätte zwar lieber auch die Geschichts- und Erinnerungsarbeit auf Dauer in seiner früheren Behörde gesehen, doch mit dem jetzt erzielten Ergebnis sieht er das Schlimmste abgewendet. Lieber „ein schlechter Kompromiss“ als gar keiner, sagte er. ….“ [Anm.: Hervorhebung durch archivar]