Vortrag Jakob Saß, Berlin, im „Siegener Forum – Vorträge und Diskussionen nicht nur zur regionalen Geschichte“ am 19. Januar 2017
In der neuen Ausgabe der Vortragsreihe „Siegener Forum“ wird am 19. Januar 2017 um 18.30 Uhr im Siegener KrönchenCenter die Karriere des 1893 in Siegen geborenen und in Hachenburg aufgewachsenen Adolf Haas im Zeitalter des Nationalsozialismus nachgezeichnet. Haas gilt als einer der bekanntesten Nationalsozialisten des Westerwaldes – als skrupelloser SS-Handlanger und Massenmörder, der als KZ-Kommandant in Wewelsburg (Niederhagen) und Bergen-Belsen mindestens 3026 Menschenleben auf dem Gewissen hat. Doch wie konnte ein einfacher Hachenburger Bäcker mit einer schlechten Schulbildung so weit in Heinrich Himmlers elitärer SS aufsteigen? Welche Eigenschaften waren ausschlaggebend? War Haas ein überzeugter „Judenfresser“ oder „nur“ ein bequemlicher Mitläufer, der begabte Häftlinge sogar schützte und sich dafür von ihnen Kunstobjekte anfertigen ließ? Während des Vortrages wird der Referent nicht nur sein Buch über Adolf Haas vorstellen und mit neuen Erkenntnissen ergänzen, sondern auch die Frage diskutieren, ob man Adolf Haas tatsächlich so schwarz und einseitig zeichnen darf, wie er auf den ersten Blick erscheint.
Jakob Saß, geboren 1990 in Berlin, ist Historiker und freier Autor. 2015 beendete er sein Bachelorstudium der Geschichte sowie der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und studiert seitdem an der Freien Universität Berlin im Master „Public History“. Seine Forschungsschwerpunkte sind die beiden Weltkriege, der Holocaust und die Täterforschung im Bereich der SS. Die Publikation „Aufstieg eines Mittelmäßigen“, die im Februar 2016 in der Schriftenreihe des Stadtarchivs Hachenburg erschien, ist seine erste Buchveröffentlichung.
Die Vortragsreihe „Siegener Forum“ ist eine Kooperation von Volkshochschule und Stadtarchiv Siegen, Geschichtswerkstatt Siegen e.V., Siegerländer Heimat- und Geschichtsverein e.V. und Aktivem Museum Südwestfalen e.V.
Der Vortrag findet statt am Donnerstag, den 19. Januar 2017, um 18.30 Uhr im Gruppenarbeitsraum des Stadtarchivs Siegen, Markt 25, 57072 Siegen (KrönchenCenter, 3. Obergeschoss.). Der Eintrittspreis beträgt 3,00 Euro.
Zu Adolf Haas gibt es einen neuen Artikel auf Spiegel-Online.
http://www.spiegel.de/einestages/bergen-belsen-kz-kommandant-adolf-haas-und-die-kunst-der-haeftlinge-a-1181222.html
Dr Artikel ist von Jacob Saß, dem oben genannten Referenten.
Danke für den Hinweis!
Die reich illustrierte 67 Seiten starke Broschüre („Buch“ wäre eine Übertreibung), die das Stadtarchiv Hachenburg 2016 vorlegte, ist ein autobiografischer Einstieg ins Thema gewesen, sicher durch den lokalen Bezug auch für manchen Hachenburger und Siegerländer Leser. Dafür ist dem Verfasser zu danken.
Es geht aber leider nicht ohne ein paar Anmerkungen zu dieser Schrift und ihrer Präsentation. Als ihr Autor im Rahmen des Siegener Forums vor einiger Zeit seine Forschung darstellte, war ihm die Mitteilung wichtig, Adolf Haas sei kein Antisemit gewesen. Dazu kam Widerspruch aus dem Auditorium. Das wiederholte sich dann, wie das Internet ausweist, auch andernorts, in Celle: http://www.bunteshaus.de/index.php/news/467-der-kz-kommandant-adolf-haas-war-ein-ns-moerder.
Die Reaktion des Autors auf die Kritik überzeugt nicht, auch nicht, wenn er dazu übergegangen ist, Haas nicht als einen „radikalen“ Antisemiten zu sehen.
Adolf Haas beantragte ausweislich seiner NSDAP-Nr. 760.610 bereits 1930 die Mitgliedschaft in einer Partei, die permanent den zu diesem Zeitpunkt militantesten Antisemitismus im deutschen Parteienspektrum demonstrierte. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dieses herausragende Merkmal seiner Partei habe er nicht recht bemerkt oder es wäre ihm irgendwie gleichgültig gewesen. Der Sichtweise eine militante Praxis folgen zu lassen, war unter den Bedingungen des Verfassungsstaats und noch starker Gegenkräfte zum Faschismus zu diesem Zeitpunkt eher schwierig. Die allmähliche Radikalisierung des modernen Antisemitismus bis schließlich hin zu den Massenverbrechen musste erst noch in Gang kommen. Haas ging diese Entwicklung Schritt für Schritt mit. Ein Widerspruch ist nicht bekannt, zu keinem Zeitpunkt und würde kein bisschen ins Bild dieses Paradenazis hineinpassen.
Wenn das frühe Bekenntnis von Haas zu seiner Partei ein Bekenntnis auch zum Antisemitismus war, was heißt das dann?
Der „moderne Antisemitismus“ geht – so die Rassismusforschung – bei „den Juden“ von der Fiktion einer geschlossenen, homogenen ethnisch-biologischen und ethnisch-kulturellen Bevölkerungsgruppe („Volksgruppe“, „Volk“) aus. In einer Hierarchie der „Völker“ seien diese Juden – kenne man einen, kenne man alle – ganz unten einzuordnen. Ganz oben: als arischer Antipode, eine ebenso homogene „deutsche Volksgemeinschaft“, die Oberguten.
Das ist ganz ohne den körperlichen Übergriff auf die vielleicht verhasste, vielleicht aber auch nur einfach als gefährlich, störend oder sonstwie abgelehnte Gruppe die radikale Verneinung der Gleichheitsvorstellung und der daraus abgeleiteten Menschenrechte. Und das soll noch nicht radikal sein? „Radikal“ werde der Antisemit erst, wenn er Schaum vor dem Mund habe oder zum Totschläger greife?
Sollte es wirklich so sein, dass der Autor Jakob Saß Antisemitismus es für akzeptabel hält, wenn Antisemiten unterhalb solcher Grenzen bleiben? Akzeptanz für Antisemitismus, Diskursfähigkeit zugestanden, nur „radikal“ soll er nicht sein? Ich gehe mal davon aus, dass Saß das nicht so sieht, dass er einfach nur ohne große Überlegung in eine übliche ideologische Falle hineingelaufen ist, in die Extremismus/Radikalismus-Falle.
Sie setzt das Böse mit „Radikalismus“ gleich, versetzt es an politische Ränder und verortet das Gute in einer angeblich ideologiefreien gesellschaftlichen und politischen Mitte. Er sei, sagt Jakob Saß in Entgegnung der Celler Kritik, jemand, „der Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und sonstige radikalen Ideologien ablehnt“. Auch „radikalen“ Humanismus? Auch „radikale“ Aufklärung? Auch eine „radikale“ Praxis der Menschenrechte?
Bei der allüberall aufgestellten Falle handelt es sich um Politikmodell auf Schülerniveau (Wolfgang Wippermann), also für die Schule. Seine pädagogische und mediale Verbreitung scheint im Kontext seiner politischen Nützlichkeit zu stehen, sein Erklärungswert ist gleich Null.
Im Fall Haas beweist sich das durch die justizielle Perspektive. Die fragte nicht nach dem Grad persönlicher „Radikalität“ von Akteuren (sehr, mittel, wenig), sondern war sachorientiert. In den 1960er Jahren ging es in Wien um die Verfahrenseröffnung zu Anton Burger, Adolf Eichmann, Adolf Haas usw. Die Justiz fragte schlicht nach „ihrer Mitwirkung … an der Endlösung der Juden/Jüdinnenfrage u. Mitschuld am organisierten Massenmord“ (https://collections.ushmm.org/findingaids/RG-17.003M_01_fnd_de.pdf).
Und noch ein Punkt: in dem Online-Beitrag von Sass heißt es, „so entwickelte sich in Bergen-Belsen ein eingeschränktes kulturelles Leben.“ Innerhalb der Opfergemeinschaft, weil vereinzelt Opfer etwa Täter porträtieren mussten? Oder innerhalb gar einer auf diese Weise gegebenen Opfer-Täter-Gemeinschaft? Nein, Täter bedienten sich ihrer Opfer auch zu „kulturellen“ Zwecken, in Bergen-Belsen, in Auschwitz, in Buchenwald und an anderen Vernichtungsorten. Das als „kulturelles Leben“ einzuordnen, geht völlig daneben.
Vielen Dank für die kritische Würdigung der bisherigen Forschungsergebnisse! Bleibt zu hoffen, dass diese in die von Saß beabsichtigte Biographie – https://www.startnext.com/adolf-haas-biografie – Einzug findet.
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