Literaturhinweis: „Zeugnisse von der ‚Heimatfront‘

Neues Lese- und Arbeitsbuch beleuchtet westfälischen Alltag während des Ersten Weltkriegs

Das Cover von „Zeugnisse von der ‚Heimatfront‘“ zeigt, dass die Kriegspropaganda bis ins Kinderzimmer reichte. So trug Heinrich Harenbrock aus Telgte auf diesem Foto Uniform und Pickelhaube.
Foto: LWL/Stadt Telgte, Sammlung Kruchen


„Die ersten Tage stand natürlich ganz Herford auf dem Kopfe, überall verweinte Gesichter, Tränen. Am Bahnhof dagegen, wo die Soldaten durchfuhren, war die Begeisterung groß.“ Die 19-jährige Hedwig Stegemann berichtete im August 1914 – nur wenige Tage nach der militärischen Mobilmachung in Deutschland – in ihrem Tagebuch von dieser Kriegseuphorie der Bevölkerung, aber auch von dem Abschiedsschmerz der Verwandten. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) gibt mit dem jetzt veröffentlichten Lese- und Arbeitsbuch „Zeugnisse von der ‚Heimatfront‘. Westfalen 1914 bis 1918“ Einblicke in diese widersprüchlichen Wahrnehmungen von Daheimgebliebenen.

Knapp ein halbes Jahr später war die Begeisterung bereits abgeebbt, was sich, wie im Falle von Maria Degener aus Vreden (Kreis Borken), nicht selten in Beschwerden über die vorhandene Tristesse äußerte: „Der eine Tag beginnt noch trister wie der andere, und der eine schleicht noch langsamer dahin wie der andere.“ Über 30 Selbstzeugnisse wie Briefe, Tagebücher und Erinnerungen, Ermahnungs- und Erbauungstexte, Gesuche um Fürsorgeunterstützung, Chroniken und Bilder machen den Alltag von Menschen in Westfalen-Lippe während des Ersten Weltkrieges präsent.

„Zahlreiche Archive, Museen und Heimatvereine haben uns verschiedene Quellen zur Verfügung gestellt. Diese Dokumente, die wir in diesem Sammelband erstmals abdrucken können, berichten von Hoffnungen und Illusionen, von Enttäuschung und Not sowie von Strategien, sich gegen die Herausforderungen und Zumutungen zu wappnen“, sagt Dr. Silke Eilers, Wissenschaftliche Referentin beim LWL-Museumsamt für Westfalen und Mitherausgeberin des Bandes, der ein Kooperationsprojekt zwischen LWL-Museumsamt und LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte ist. „Sie zeigen oft das Bemühen, das Außergewöhnliche ins tägliche Leben zu integrieren, sei es in den Schützengräben, sei es zu Hause in den Städten und Dörfern.“

Jahrzehntelang galt als gesichert, dass die Bevölkerung den Krieg im Sommer 1914 förmlich herbeigesehnt hat. Mittlerweile wurde dieses einseitige Bild durch immer mehr Wissenschaftler zunehmend in Frage gestellt: „Insbesondere Quellen von Privatpersonen machen deutlich, dass es ein generelles ‚Augusterlebnis‘ nicht gegeben hat, das alle Bevölkerungsschichten mit einer begeisterten Zustimmung zum Krieg erfasst und mobilisiert hat. Die neuere Forschung kommt zu dem Schluss, dass das eher ein Wunschbild war, das in der zeitgenössischen – publizistisch und amtlich gesteuerten – Rhetorik beschworen wurde“, betont Mitherausgeberin Dr. Julia Paulus, Historikerin am LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte.

Nach einer Einleitung in das Thema des Buches und die Besonderheiten der dargestellten Selbstzeugnisse durch die beiden Herausgeberinnen kommentieren ortskundige Autoren die 31 meist in Auszügen präsentierten Quellen. Die Publikation versteht sich als Ergänzung zum Begleitband der Wanderausstellung „An der ‚Heimatfront‘ – Westfalen und Lippe im Ersten Weltkrieg“, die zwischen 2014 und 2015 in acht westfälischen Museen gezeigt wurde.

Zeugnisse von der „Heimatfront“
Westfalen 1914 bis 1918.
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, LWL-Museumsamt für Westfalen (Hrsg.), Silke Eilers und Julia Paulus (Bearb.)
360 Seiten, Paperback, Ardey Verlag für Westfalen,
Münster 2016 (18,90 Euro, ISBN 978-3-87023-392-1)

Quelle: Pressemitteilung LWL, 16.12.2016

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